„Not bigger is better, better is better.“ - Jost Hellmann im Interview

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Herr Hellmann, wir feiern in diesem Jahr 150 Jahre Hellmann Worldwide Logistics. Über die Jahrzehnte hat sich Hellmann von einem regionalen norddeutschen Spediteur zu einem weltweiten Logistiker entwickelt. Sie waren rund 40 Jahre an der Spitze des Unternehmens – was bedeutet Ihnen das Jubiläum persönlich?

Sie können sich vorstellen, dass ich große Freude, aber auch ein wenig Stolz empfinde. Stolz, dass es Klaus und mir gelungen ist, den Staffelstab, den wir von unseren Eltern übernommen haben, an Reiner Heiken und den Vorstand weiterzugeben und ein weltweit erfolgreiches Unternehmen zu übergeben. Hier haben Klaus und ich wirklich einen guten Job gemacht, wenn ich das so sagen darf. Reiner Heiken und seinem Team wünsche ich jetzt natürlich, dass sie das Unternehmen genauso erfolgreich in die Zukunft führen. Es freut mich auch zu sehen, wie motiviert unsere vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf der ganzen Welt sind. Das gibt mir das Gefühl, vieles in meiner beruflichen Laufbahn richtig gemacht zu haben.

Wie war es für Sie, in einer Familie aufzuwachsen, die das Unternehmen bereits seit drei Generationen führte – haben Sie in Ihrer Jugend den Druck dieser Verantwortung gespürt?

Nein, das habe ich nicht. Das Unternehmen war damals ja noch viel kleiner. Ich war zwar mit 14 Jahren schon Gesellschafter, aber es war nicht klar, dass ich später auch beruflich einsteigen würde. Meine Mutter wollte, dass ich Jurist werde, denn mein Bruder, mein Cousin Klaus und meinVater – sie alle waren ja schon in dem damals noch norddeutschen Unternehmen tätig, und ich wusste gar nicht, ob dort überhaupt Platz für mich sein würde. Insofern habe ich zunächst in Münster Jura studiert und anschließend in den USA gearbeitet. Dort hat mich dann jemand gefragt, ob ich Lust hätte, für ihn nach Hongkong zu gehen. Meine Eltern, insbesondere mein Vater, haben also niemals Druck ausgeübt und so handhabe ich es auch mit meinen Kindern. Meine Tochter Kiki zum Beispiel engagiert sich neben dem Soziologie-Studium in Hamburg sozial für schwerbehinderte Kinder und Migrantenfamilien, davor habe ich absoluten Respekt. Auch mein Sohn Alex geht nach seinem Master an der London School of Economics and Political Science (LSE) mittlerweile seinen eigenen Weg und arbeitet in einem SaaS Start-up (Software as a Service, Anm. d. Red.). Auch das finde ich sehr wichtig.

Würden Sie sagen, dass Ihnen das Unternehmertum bereits in die Wiege gelegt wurde?

Ja vielleicht, schon als Student habe ich mit 22 Jahren in Münster eine Squash-Anlage gegründet – das war erst die dritte in ganz Deutschland, und sie wurde sehr erfolgreich. Ich war also schon als junger Mann Unternehmer. Mit dem Schritt nach Hongkong, der für mich eher zufällig kam, war mir klar, dass ich auch in diesem für mich neuen Umfeld etwas entwickeln konnte. Denn damals begann ja in Hongkong die Globalisierung. Unternehmen ließen nicht mehr nur in Europa produzieren, sondern kauften auch in Fernost ein. Zunächst arbeitete ich in Hongkong in einem Einkaufsbüro für eine Importfirma aus Hamburg. Ich war dort gerade angefangen, da machte das Hamburger Mutterhaus Konkurs, und so mussten sich die Angestellten in Hongkong einen neuen Job suchen. Gott sei Dank habe ich dann den dortigen Stationsleiter von Kühne+Nagel kennengelernt und von ihm ein Job-Angebot bekommen. Und ich sah sofort, welche Chancen der Markt in Asien bot.

Hat Ihre Zeit in Hongkong und später auch in den USA Ihre Pläne geweckt, das Unternehmen Hellmann zu einem Global Player zu entwickeln?

Das war um 1980 – eine Zeit, in der viele Firmen, unter anderem große Textilunternehmen, anfingen, in Asien einzukaufen. Ich erinnere mich gut: Ich schrieb meinem Vater damals ein Telex, dass ich in Hongkong ein Hellmann-Büro eröffnen wollte. Es folgte die ernüchternde Antwort, dass der Markt zu klein und schon vergeben sei. Ich antwortete etwas patzig, dass der Markt schon im alten Rom vergeben war und deutete das große Marktpotenzial in Asien an. Ich verstand, dass wir dort mit unseren europäischen Kunden wachsen konnten. Klaus Hellmann kam dann gemeinsam mit seiner Frau vorbei und wir beschlossen, es auf eigene Faust anzugehen – gegen die Widerstände der damaligen Geschäftsführung. Ich habe dann mit Lucia Fung und Carol Tsang schnell zwei mir vertraute Mitarbeiterinnen einstellen können, die dann über 35 Jahre unser Unternehmen in Hongkong prägten. Bereits im ersten Jahr waren wir in Hongkong profitabel, was eine sehr große Leistung war. Dieses erste Büro in Asien war für uns eine Initialzündung. Danach haben wir in Australien expandiert, dann in Südafrika und Nordamerika. Nordamerika war natürlich als größte Wirtschaftsmacht der Welt ein wichtiger, aber auch schwieriger Markt für uns.

 

Wie verlief der Schritt über den Atlantik?

In Nordamerika schrieben wir zu Beginn große Verluste, weil wir aus heutiger Sicht zu schnell expandierten. Also ging ich selbst in die USA, um persönlich gegensteuern zu können. Wie ist das gelungen? Es hat enorm viel Arbeit und Mühe gekostet sowie eine lange Zeit. Mit der Erfahrung aus Asien und Europa wusste ich aber, dass wir ohne die USA kein wirklicher Global Player sein konnten. Und so traf ich gemeinsam mit Klaus Hellmann die Entscheidung, auch diesen schwierigen Markt anzugehen. Für uns als „norddeutsche Spedition“ war das salopp gesagt ein großer Schluck aus der Pulle – aus heutiger Sicht aber die richtige strategische Entscheidung.

Was war in Ihrer beruflichen Laufbahn die wichtigste oder prägendste Entscheidung, die Sie jemals getroffen haben?

Sicherlich die Entscheidung zur Internationalisierung, keine Frage. Ich glaube, das hat uns die Möglichkeit gegeben, das Unternehmen nachhaltig aufzustellen. Denn ich erinnere mich an viele andere mittelständische Speditionen in Deutschland, die es heute nicht mehr gibt. Sie wurden verkauft oder mussten das Geschäft aufgeben. Durch die globale Expansion konnten wir eine Größe erreichen, die dies verhinderte. Eine zweite wichtige Entscheidung traf ich, als ich 60 Jahre wurde. Wir hatten damals immerhin schon über 10.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weltweit und ich empfand es an der Zeit, dem Unternehmen eine neue Struktur für die Zukunft zu geben. Mit der heutigen der SE-Struktur (Societas Europaea, Anm. d. Red.) haben wir einen Vorstand und einen professionellen Aufsichtsrat, der richtungsweisende Entscheidungen gemeinsam trifft und damit unserer heutigen Größe und unserem Entwicklungspotenzial Rechnung trägt. Ich glaube, wir sehen alle, dass dieser Schritt für eine nachhaltige Aufstellung wichtig war.

Sie haben anfangs Ihren Vater angesprochen, was war der wichtigste Ratschlag, den Sie von ihm je erhalten haben?

Ich glaube, er hat mir nie einen wirklichen Ratschlag gegeben, aber er hat mir ein Leben vorgelebt, an dem ich mich orientieren konnte. Mein Vater war ein unheimlich agiler Mann und immer offen für neue Dinge. Er hat mich immer unterstützt, wenn ich eine Idee hatte – wie zum Beispiel bei der Squash-Anlage in Münster – und er hat gesagt „mach es einfach!“. Ich erinnere mich auch, dass er einmal Goethes Faust zitierte. Dort heißt es: „Was du ererbst von deinen Vätern hast – Erwirb es, um es zu besitzen.“ Ich habe es erst viel später verstanden, wie richtig dieses Zitat ist. Aber von meinem Vater habe ich auch Demut und Bescheidenheit gelernt. Und er hat mir vorgelebt, dass das Leben nicht nur aus Arbeit besteht, sondern dass es wichtig ist, neben der Arbeit auch andere Interessen zu haben. Getreu der chinesischen Philosophie: „Yin & Yang“ – man braucht im Leben immer einen Ausgleich.

Sie haben vor Jahren unsere F.A.M.I.L.Y DNA mit initiiert. Wie beurteilen Sie ihre Bedeutung heute?

Wir hatten bei Hellmann, so denke ich, immer eine starke Familien bzw. Firmenkultur. Diese zu leben, war natürlich in den Anfängen leichter, weil jeder jeden kannte. Bei unserem schnell wachsenden Unternehmen war es uns dann sehr wichtig, diese Kultur aufrechtzuerhalten. Deshalb haben wir die Leitsätze der DNA festgeschrieben – auch, um uns von unseren Wettbewerbern abzusetzen. Ich erinnere mich, dass wir im Marketing alle zwei Jahre eine neue Firmenbroschüre entwickelten und dort immer wieder Flugzeuge, Schiffe, Läger und Lkw abbildeten – über zehn Jahre immer wieder ähnliche Motive. Ich saß dann irgendwann bei der Werbeagentur und habe gesagt „das kann ja nicht der Unterschied sein, unsere Wettbewerber benutzen ja die gleichen Schiffe, die gleichen Flugzeuge und Transportmittel, wo ist also der Unterschied? Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die machen den Unterschied!“ Das war die Initialzündung für die Entwicklung unserer F.A.M.I.L.Y DNA.

Wie nehmen Sie das heute wahr – aus einer Perspektive mit ein wenig mehr Abstand?

Ich freue mich immer wahnsinnig, wenn ich mit Reiner Heiken spreche und er sagt, dass er genau diese Philosophie wiederbeleben möchte. Viele Menschen, die schon lange bei uns sind, auch außerhalb Deutschlands, zum Beispiel in Südamerika, im Mittleren Osten und in vielen weiteren Regionen, leben diese F.A.M.I.L.Y DNA nach wie vor sehr intensiv, was ich sehr begrüße. Und ich freue mich sehr, dass der Vorstand um Reiner Heiken dieses Thema derzeit wieder aufnimmt und ausbauen will.

Was waren für Sie die größten Meilensteine unserer 150-jährigen Geschichte?

Meilensteine in den 150 Jahren gab es natürlich viele, beginnend mit der Gründung 1871, dem Wiederaufbau nach den beiden Weltkriegen, der Gründung des Elferkreises in Deutschland, dem DPD und dem Aufbau des internationalen Geschäfts, um nur einige zu nennen. Es gab aber auch eine frühe Fokussierung auf die digitale Welt, Hellmann war damals führend im IT-Bereich. Wir haben als eines der ersten Unternehmen die AS 400 eingeführt und auch Personal Computer im Betrieb genutzt. Hier hat Klaus Hellmann vieles in die Wege geleitet. Er war natürlich auch der Initiator für das Thema „Nachhaltigkeit“ bei Hellmann. Wir waren eines der ersten Unternehmen, das seine Dächer begrünte, im großen Stil Bäume pflanzte, Transporte auf die Bahn verlagerte, den Lang-Lkw einsetzte etc. Das Thema „Umwelt“ ist also sicherlich auch ein Meilenstein unserer Geschichte. Dennoch müssen wir hier in die Zukunft blicken und unsere Bemühungen weiter ausbauen.

 

Sie haben einmal gesagt, Sie würden gerne weiterhin Kundenbesuche durchführen. Fehlt Ihnen das Tagesgeschäft heute?

Ist doch klar, ich habe mein Leben lang Kunden besucht und mache das nach wie vor ausgesprochen gerne. Es gibt ja nicht mehr viele Unternehmen, bei denen der Namensträger noch persönlich beim Kunden sitzt, der das auch sehr wertschätzt. Und wir dürfen nicht vergessen, man lernt viel, wenn man dem Kunden gegenübersitzt. Wir bekommen ein Feedback über die Qualität unserer Dienstleistung, wir hören seine Erwartungshaltung und wir bekommen eine Einschätzung über Marktentwicklungen und -tendenzen und die Stärken und Schwächen unserer Mitbewerber. Aber nein, das Tagesgeschäft an sich fehlt mir überhaupt nicht, denn ich habe das Glück, noch andere Interessen zu haben. Ich spiele nach wie vor Competitive Golf mit einem Handicap von 3,8. Ich reise gerne, und ich habe viele Freunde, mit denen ich viel unternehme. Langeweile verspüre ich also überhaupt nicht (lacht).

Was sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen, vor denen wir als Unternehmen heute und in Zukunft stehen?

Abgesehen von allen Schwierigkeiten, die derzeit mit der Pandemie einhergehen, sehe ich einen aufkommenden Konflikt zwischen China und Taiwan, der nicht nur den asiatischen Raum verunsichert, sondern auch drastische Folgen für die Weltwirtschaft nach sich ziehen könnte. Auch das Thema „Digitalisierung“ treibt mich um. Gott sei Dank bewegen wir uns hier mit massiven Investitionen momentan in die richtige Richtung, wenngleich wir uns sicherlich noch digitaler aufstellen müssen.

Ein Zitat von Ihnen hat sich innerhalb der Organisation verselbstständigt, es heißt: „Not bigger is better, better is better.“ Wie beurteilen Sie dieses Zitat heute vor dem Hintergrund unseres Wachstumskurses im Rahmen von Fit4Growth. Welche Größe ist noch gesund?

„Not bigger is better, better is better!“ – das sagt doch schon alles. Ich glaube fest daran, dass dieser Ausspruch heute noch gilt. Unsere Wettbewerber haben in der letzten Zeit unglaublich dazugekauft und sind sehr viel größer geworden. Sie scheinen dabei aber die Nähe zum Kunden zu verlieren. Ich glaube, dass ein Unternehmen wie Hellmann – weltweit vertreten und digital gut aufgestellt – durch die Nähe zum Kunden eine unglaubliche Chance hat. Aber natürlich brauchen wir eine gewisse Größe. Wir benötigen Schwungmasse, d. h. eine gewisse Zahl an Sendungen und Tonnage, um etwa effektive Sammelgutverkehre betreiben zu können und um ein wichtiger Kunde für die Reedereien und die Luftfrachtgesellschaften zu sein. Aber Größe alleine ist bestimmt nicht ausschlaggebend. Die Kunden, mit denen ich spreche, mahnen allesamt: „Behaltet bloß eure Kundennähe!“

Abschließende Frage: Welche Weichen müssen wir stellen, um die nächsten 150 Jahre erfolgreich zu bleiben?

Hier denke ich an drei Dinge. Zunächst brauchen wir genug Kapital, um ein solides Fundament zu schaffen, auf dem das Unternehmen fußt, auch wenn es eine wirtschaftliche Durststrecke zu überbrücken gilt. Ich bin sehr froh, dass wir das in den letzten Jahren erreichen konnten. Den zweiten Punkt habe ich schon angesprochen: Ich hoffe, wir behalten uns unsere Kultur und lassen den Mitarbeiter „Unternehmer im Unternehmen" sein: „Mitarbeiten = Mitdenken & Mithandeln“ lautet hier seit jeher die Devise. Meinen dritten Wunsch habe ich auch schon angesprochen: Ich habe viele Kunden in meinem Leben besucht, und immer da, wo Unternehmen erfolgreich waren, waren die Menschen fröhlich und haben gelacht. Bei Firmen, die in Schieflage gerieten, konnte man beobachten, dass sich die Mitarbeitenden zurückzogen und man bemerkte, dass die Stimmung nicht passte. Also freue ich mich in diesen Tagen sehr, dass wir bei Hellmann eine Aufbruchstimmung erleben und ich überall auf lachende Gesichter treffe. Mein Wunsch ist, dass dies lange Zeit so bleibt.

Vielen Dank für das Gespräch.

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