Klaus Hellmann: „Wenn man gut ist, wächst man automatisch“

Family

Herr Hellmann, was bedeutet Ihnen persönlich das 150. Jubiläum unseres/Ihres Unternehmens?

Für mich persönlich bedeutet es, Teil einer Kette zu sein, die vor 150 Jahren ihren Anfang hatte und hoffentlich erst in ferner Zukunft endet. Wenn man in einem solchen Unternehmen und auch in einem solchen Haushalt aufgewachsen ist wie ich, dann tut man im Grunde alles für das Unternehmen. Das ist es, was Familienunternehmen ausmacht – und warum manche Familienunternehmen alt werden.

Ich bin nach dem Krieg aufgewachsen und habe die Anspannung und auch das Engagement meines Vaters für das Unternehmen, vor allem für die Mitarbeiter, erlebt – eine Firma besteht eben nicht nur aus Firma, sondern aus Menschen. Es ist also wichtig, dass man permanent daran arbeitet, die Firma von Generation zu Generation zu bringen. Im Grunde sind wir als Shareholder eigentlich nur Treuhänder.

Sie haben 1976 mit 27 Jahren eine führende Position eingenommen. War es für Sie als junger Mann eine Belastung, so früh so viel Verantwortung zu übernehmen?

Ich war der Einzige aus der Familie, der wusste, dass mein Vater sterben würde. Das habe ich erfahren, als ich in Bremen bei der DAV (Deutsche Außenhandels- und Verkehrs-Akademie) studiert habe. Ich stand also vor der Frage: Brichst du das Studium ab und gehst in den Betrieb, oder ziehst du es durch? Ich habe mich für Letzteres entschieden.

Mein Vater befürchtete während seiner Krankheit, obwohl er ansonsten ein optimistischer Mensch war und die Zahlen immer gut waren, in die Insolvenz gehen zu müssen. Hinzu kam, dass 1976 seine damalige Assistentin und Personalchefin, Anne Brandt, plötzlich verstarb. Diese Situation war für mich also eine große Herausforderung, zumal ich noch keinerlei Führungserfahrung hatte.

Warum hat mich das Unternehmen trotzdem überlebt? Ganz einfach, weil wir Menschen hatten wie Friedrich Ihnow, Herbert Kuhlmann, Oskar Strache, Helmut Hischemöller, Karl Klages, meinen Onkel Jochen Hellmann und viele mehr, die beinahe ihr gesamtes Leben dem Unternehmen widmeten – das war immer die große Kraft, die Hellmann ausgemacht hat. Friedrich Ihnow wurde dann mein väterlicher Ratgeber – und das war eine harte Schule, aber auch eine gute. Die Menschen in meinem Umfeld haben mich früh Entscheidungen treffen lassen, die scheinbar nicht zu schlecht für das Unternehmen waren.

Gab es für Sie auch Momente, in denen Sie ausbrechen wollten angesichts dieser großen Verantwortung?

In meiner Schulzeit bin ich überall ausgebrochen … mein „erfolgreichstes“ Jahr hatte ich in der siebten Klasse mit einer Sechs und drei Fünfen in den vier Hauptfächern und 54 Eintragungen im Klassenbuch, da durfte ich die Schule dann „beenden“ und musste aufs Internat wechseln. Ich bin vom Grundsatz her aber ein sehr ehrgeiziger Mensch, ich wollte immer vorne stehen.

Schon während meiner Kindheit habe ich bei den Möbeltransporten mit angepackt, half in der Werkstatt und im Umschlagslager oder saß mit den Kutschern auf den Pferdewagen. Die Firma war also immer Teil meines Lebens.

Sie haben die väterlichen Ratschläge von Herrn Ihnow angesprochen, was war der wichtigste Ratschlag, den Sie in Ihrem Leben erhalten haben und von wem?

Die Werte, die ich von meinen Eltern mitbekommen habe, das waren für mich die wichtigsten Ratschläge. Zum Beispiel, nie etwas von anderen zu verlangen, was man nicht selbst bereit ist, zu leisten. Und Respekt vor allen Menschen zu haben, alle Menschen gleich ernst zu nehmen, egal welchen Hintergrund sie haben.

Was war in Ihrer späteren Laufbahn die schwierigste Entscheidung, die Sie getroffen haben oder treffen mussten?

Pauschal lässt sich das nicht beantworten. Eine der schwierigsten Entscheidungen war sicher der Verkauf des DPD – man verkauft schließlich nicht das Unternehmen, sondern die Mitarbeiter. Und dennoch fühlte es sich einfach an, warum? Wir hatten mit sieben privaten Partnerunternehmen damals drei Aufsichtsratsplätze und die französische Post zwei, damit konnten wir den DPD dominieren. Wenn nur einer verkauft hätte, hätten die Franzosen drei Sitze gehabt. Wir hatten also keine Alternative und darum haben wir sieben relativ schnell gemeinsam entschieden, im Paket zu verkaufen. Wer mich kennt, der weiß, wie schwer mir eine solche Entscheidung fällt, aber diese konnte ich innerhalb eines Tages treffen.

War diese Entwicklung etwas, das Sie im Nachhinein bereuen?

Nein, wenn man von einer Entscheidung überzeugt ist, dann ist sie auch richtig, auch wenn man später vielleicht sieht, „wow, jetzt wächst das Geschäft aber“. Insofern führt diese „Was-wäre-wenn-Diskussion“ zu nichts.

Abgesehen vom Verkauf des DPD ist Hellmann in den letzten 45 Jahren unter der Leitung von Ihnen und Jost Hellmann massiv gewachsen vom regionalen Spediteur zum Global Player…

Nein, das war nicht ausschlaggebend unter meiner Leitung, sondern mit allen Beteiligten, ich war nur dabei…

Wie haben Sie denn diese Entwicklung erlebt?

Indem ich sie ganz einfach miterlebt habe … an dieser Stelle vielleicht ein Beispiel: Ich habe um 2010 mit einer Mitarbeiterin in Xiamen in China gesprochen, sie war damals 25 oder 26 Jahre alt. Und ich wollte von ihr wissen, wie sie den massiven Wandel Chinas seit der Mitte der Neunziger Jahre mit dem Wachstum der Städte und der Entstehung der Wolkenkratzer erlebt hatte. Sie konnte die Frage gar nicht verstehen, weil diese Entwicklung ihr tägliches Leben war. Wenn man es so betrachtet, kommt einem das Wachstum des Unternehmens nicht so außergewöhnlich vor wie Sie vermuten.

War es denn für Sie von vornherein klar, dass Sie die Spedition weltweit entwickeln wollten - war die Expansion immer Ihr Ziel?

Nein, wie sollte man das planen oder vorher wissen? Man muss permanent an Dingen arbeiten und Veränderungen zulassen. Nehmen wir das IG West (in Osnabrück) zum Beispiel: 1978 wurde uns dort ein Grundstück von 150.000 m² für 13,50 DM pro Quadratmeter angeboten. Das haben wir uns angeschaut und die Chance gesehen, dort einen Kontraktlogistikstandort aufzubauen, also griffen wir zu. Anders gesagt: Die Firma war immer expansiv, sie hatte nur nie das ultimative Ziel, expansiv zu sein. Wir hatten immer das Ziel, gut zu sein. Und wenn man gut ist, wächst man automatisch.

Sie gelten als absoluter Familienmensch, ist die Hellmann-FAMILY für Sie eine Erweiterung der eigenen Familie?

Ja!

Wie drückt sich das aus?

Durch Verantwortung. Ganz einfach! Wenn jemand zu mir kommt und sagt: Hilf mir mal, dann ist es für mich eine Selbstverständlichkeit. Dann hinterfrage ich nicht, sondern unterstütze, wo ich kann. Einmal kam ein Mitarbeiter aus dem Lager zu mir und sagte: „Sie wissen ja, ich habe ein offenes Bein, das ist der Grund, warum ich nicht mehr so oft arbeiten kann.“ Das fand ich ausgesprochen toll, dass jemand so viel Vertrauen hatte, sich öffnete und zu mir kam. Das ist es, was Hellmann immer ausgemacht hat. Heute ist das in der Größenordnung, in der wir uns bewegen, nicht mehr so leicht.

Ist das einer der Gründe, warum Sie die F.A.M.I.L.Y DNA niedergeschrieben haben – um Ihr Wertverhältnis für das Unternehmen festzuhalten und es weiterzugeben?

Ja, es war natürlich immer unser Interesse, diese Werte weiterzugeben. Der F.A.M.I.L.Y-Gedanke soll Hellmann noch lange prägen.

Ebenso wie für Familie steht Ihr Name auch für Nachhaltigkeit. Warum ist Ihnen dieses Thema, insbesondere in seiner ökologischen Dimension, so wichtig?

Als ich noch geraucht habe - das muss zwischen 74 und 76 gewesen sein – da habe ich eine leere Zigarettenschachtel aus dem Fenster geworfen und den Aschenbecher auf der Straße entleert. Darauf fragte meine Frau: Klaus, was machst du da eigentlich? Da habe ich begonnen, mir Fragen zu stellen. Es wuchs in mir die Erkenntnis: Wir leben alle auf einer Welt und sind selbst dafür verantwortlich, wie wir dort leben und wie wir sie hinterlassen.

Ich erinnere mich, wie an der Elbestraße in Osnabrück ein Grundstück nach dem anderen aufgekauft wurde. Wir haben überall gepflastert, betoniert und Flächen versiegelt, bis uns deutlich wurde, was für eine Betonwüste wir produzierten. Dann fingen wir an, die Flächen, die nicht befahren wurden, wieder aufzureißen und unser Gelände nach und nach zu begrünen, immer in vielen kleinen Schritten – das ist für mich im Grunde gelebte Nachhaltigkeit.

Sie gelten für viele als Visionär oder Vordenker der Logistikbranche, insbesondere was die Digitalisierung angeht oder auch das Konzept der „Neuen Arbeitswelten“, die wir hier im Speicher III, unserer Firmenzentrale, bereits seit 2008 mit Leben füllen. Woher nehmen Sie diese Innovationskraft und die Fähigkeit, Zukunft (mit) zu gestalten?

Nie etwas akzeptieren! Ich glaube, das ist mein wichtigster Motor. Ich denke ständig über Themen nach und frage mich: Wie kann man die Dinge noch besser machen? Nun bin ich kein Frühaufsteher, aber ich stehe meist um 6.00 Uhr auf, um tagsüber viel bewegen zu können. Morgens schwimme ich dann – früher 2 km, heute nur noch 1,5 km – und lasse dabei meinen Gedanken freien Lauf. Dieser permanente Denkprozess ist meine Triebfeder für Veränderung.

Hält Sie diese geistige Grundhaltung auch ein Stück weit jung?

Ich fühle mich jedenfalls nicht so alt wie ich bin. Das permanente Grübeln über Verbesserungen begleitet mich allerdings schon mein ganzes Leben. Ich erinnere mich an ein Praktikum nach dem Abitur bei einer Bank. Was bekommt man als Praktikant für Aufgaben? Ich musste den ganzen Tag Kontoauszüge ablegen - langweilig! Aber mir machte das Spaß, denn ich habe versucht, jeden Tag schneller zu werden.

Sie haben seit Ihrem Einstieg in die Unternehmensführung großen Wert auf eine gute Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat gelegt. Warum war Ihnen das so wichtig?

Auch das habe ich ein Stück weit von meinem Vater übernommen. 1953, mit dem Inkrafttreten des Betriebsverfassungsgesetzes, war Ferdinand Lintemeyer der erste Betriebsratsvorsitzende. Er war ein strammer Gewerkschafter und konnte bisweilen ziemlich aggressiv sein, aber er hat immer auch das Wohl der Firma gesehen. Denn gewerkschaftliche Interessen zu vertreten ist das eine, aber damit darf nicht das Unternehmen geschädigt werden. Wenn es damals Differenzen mit meinem Vater gab, was ohne Frage passieren konnte, dann stattete mein Vater Ferdi Lintemeyer samstags einen Besuch in seinem Schrebergarten ab, um diese aus der Welt zu schaffen. Man darf also Gespräche nie abreißen lassen und muss sich immer auf Augenhöhe begegnen, das habe ich früh zu Hause mitbekommen. Und so habe ich das in all den Jahren weitergeführt. Wenn man sich über Jahrzehnte kennt und sich nie belogen hat, dann entsteht ein enges, vertrauensvolles Verhältnis von alleine.

Blicken wir einmal in die Zukunft: Was muss passieren, damit das Unternehmen weitere 150 Jahre oder mehr erfolgreich übersteht?

Im Grunde genommen sind wir als Unternehmen ein Teil der Natur. Ein schönes Beispiel: Im IG West steht eine Stieleiche, die knapp 1200 Jahre alt ist. Unternehmen sind äußeren Umständen ausgesetzt, genau wie die Stieleiche – wenn man also bestimmte Dinge wie die Werte, über die wir gesprochen haben, nicht beachtet oder wenn man die Zeichen des Marktes nicht erkennt, dann können einzelne Bereiche plötzlich defizitär werden und absterben, genau wie beim Baum. Man muss also immer achtsam sein und sich anpassen, um so alt zu werden.

Was waren für Sie persönlich die größten Highlights in den letzten 45 Jahren?

Für mich ist das Highlight die permanente Entwicklung nach vorne mit den vielen Freunden, die ich über die Firma kennengelernt habe, mit den Mitarbeitern und den Kollegen im Logistikbereich. Ich wäre heute nicht die Person, die ich bin, wenn ich nicht in dieser Firma gearbeitet hätte. Vor diesem Hintergrund macht es mir große Freude, was wir gemeinsam über all die Jahre geschaffen haben.

Wie würden Sie sich selbst einschätzen: Visionär oder Rebell?

Zunächst einmal müssen das andere über mich beurteilen, ich selbst kann das gar nicht. Man sieht sich selbst sowieso immer falsch, zumindest anders. Ich bin schon jemand, der konsistent an Dingen arbeitet. Auch jetzt außerhalb der Firma mache ich viele Sachen und entwickle Unternehmen weiter, das macht mir einfach Spaß, damit werde ich wahrscheinlich nie aufhören. Dieses Unternehmertum wurde mir scheinbar in die Wiege gelegt.

Um noch einmal auf den Anfang zurückzukommen: Wäre es richtig zu sagen, Sie sehen sich als Teil einer „Familiendynastie“, die den Staffelstab von Generation zu Generation weitergibt?

Also Letzteres sowieso, aber den Begriff „Familiendynastie“ mag ich nicht. Ich sehe auch heute noch meine Verantwortung darin, die Firma und die Mitarbeiter zu begleiten und Dinge anzusprechen, die aus meiner Sicht möglicherweise nicht ganz richtig sind. Meine Verantwortung gebe ich erst auf, wenn ich die Augen schließe. Bis dahin ist mein Wunsch, dass wir als Unternehmen so alt werden wie die Stieleiche. Also nicht nachlassen!

Sie haben noch Fragen?

TEILEN SIE DIESEN BEITRAG AUF
Facebook
LinkedIn

Das könnte Sie auch interessieren…

Hundert Jahre Erfahrung: Jubiläumsinterview mit Wilfried Hesselmann und Rolf Telljohann

Hellmann Globetrotter: Puja Suresh

Hellmann Globetrotter: Luis Fernando Rodriguez

Hellmann Globetrotter: Rachael van Harmelen